Der Arbeitsmarkt als Treiber des Immobilienmarktes – Prof. Dr. Jens Südekum im Gespräch
Von DZ HYP In AllgemeinProf. Dr. Jens Südekum ist Inhaber des Lehrstuhls für internationale Volkswirtschaftslehre am Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er forscht über den Einfluss der Globalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt, insbesondere auf lokale Beschäftigungs- und Lohnniveaus, regionales Wachstum und Strukturwandel sowie Arbeitsmobilität und Migration. Er erhielt diverse internationale Forschungspreise, darunter den EPAINOS Award der European Regional Science Association. Seine Forschungsergebnisse wurden u. a. in der New York Times, der Washington Post, der Financial Times und im Economist rezensiert.
Dr. Norbert Hiller: Herr Professor Südekum, die Menschen folgen den Arbeitsplätzen. Damit bestimmt die Entwicklung der regionalen Arbeitsmärkte die regionalen Immobilienpreise. Was zeichnet den deutschen Arbeitsmarkt aus räumlicher Sicht aus?
Prof. Dr. Jens Südekum: Grundsätzlich haben wir in Deutschland ein nicht so stark ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle wie z. B. in England, Frankreich oder den USA. Dafür gibt es zwei Ursachen: Erstens ist der deutsche Arbeitsmarkt immer noch relativ stark auf das verarbeitende Gewerbe ausgerichtet, welches gerade außerhalb der Großstädte den Arbeitsmarkt dominiert. In anderen Ländern nimmt der Dienstleistungssektor einen höheren Stellenwert ein. Zweitens beruht die relativ dezentrale Wirtschaftsstruktur auf historischen Besonderheiten. Durch die deutsche Teilung haben z. B. viele Unternehmen aus Berlin ihren Hauptsitz in den Westen verlegt, wobei sich diese auf verschiedene Regionen verteilt haben.
Dr. Norbert Hiller: Betrachtet man die Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre, so nimmt das Stadt-Land-Gefälle dennoch immer weiter zu. Woran liegt das?
Prof. Dr. Jens Südekum: Auch Deutschland folgt dem Pfad anderer reicher Industrieländer und wird zunehmend zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Der Industrieanteil ist zwar weiterhin relativ hoch, aber er fällt bereits seit Jahren. Die moderne Dienstleistungsbranche wird immer wissensintensiver und die damit verbundenen Tätigkeiten sind auch wesentlich mobiler. Bei einem großen Stahlwerk müssen Sie sich z. B. für einen Standort entscheiden. Wenn es erstmal gebaut ist, werden Sie es nicht mehr verlagern können. Kleinere Webdesign- oder Biotechnologiefirmen sind hier wesentlich flexibler bzw. mobiler. Man könnte jetzt meinen, dass diese Unternehmen auch gleichmäßiger im Raum verteilt sind, doch das Gegenteil ist der Fall. Gerade wissensbasierte Unternehmen konzentrieren sich aufgrund von Agglomerationsvorteilen auf einen lokalen Standort und suchen förmlich die Nähe zu ähnlichen Unternehmen. Kurze Wege und eine große Auswahl an potenziellen Arbeitnehmer spielen hier eine große Rolle. Und die hoch qualifizierten, spezialisierten Arbeitskräfte wollen auch genau dorthin, wo es diese Firmen – die potentiellen Arbeitgeber – hinzieht. Letztlich verstärkt sich dadurch der Trend zur Urbanisierung.
Dr. Norbert Hiller: Glauben Sie, dass dieser Trend z. B. durch den Ausbau des Glasfasernetzes gedämpft oder gar gestoppt werden kann?
Prof. Dr. Jens Südekum: Da habe ich meine Zweifel. Man nutzt zwar neue Technologien, die auf den ersten Blick Distanz überbrücken und den Standort scheinbar irrelevant machen, weil ja alles digitalisiert abläuft. So kann man z. B. Videokonferenzen schalten oder muss zum einkaufen nicht mehr in die Innenstadt fahren. Jedoch führen diese Möglichkeiten paradoxerweise zu einer genau gegenläufigen Entwicklung. Der persönliche Kontakt von Angesicht zu Angesicht und der Lifestyle in den Ballungsgebieten scheinen heute wichtiger denn je zu sein. Hochqualifizierte Fachkräfte wollen in die Innenstädte, was für Klein- und Mittelstädte zu einem ernsten Problem wird. Zwar stehen diese derzeit noch gut da, aber der Fachkräftemangel ist schon seit Jahren das dominierende Thema vieler mittelständischer Unternehmen und Kommunalpolitiker.
Dr. Norbert Hiller: Nun könnte man ja annehmen, dass die Immobilienpreise diese Entwicklung dämpfen. Denn durch den Zuzug steigen die Quadratmeterpreise in den Ballungsgebieten rasant an. Gerade für Familien, welche in der Regel einen großen Wohnflächenbedarf haben, dürfte die Attraktivität der Städte stark nachlassen. Dies könnte zu entsprechenden Wanderungsströmen in das Umland führen. Vielleicht werden einige Haushalte auch auf hohe Einkommen und anspruchsvolle Traumkarrieren verzichten, wenn sie dafür in einer sehr günstigen ländlichen Region leben können.
Prof. Dr. Jens Südekum: Diesen Zusammenhang sollte man in der Tat nicht ausblenden. Im Grunde wird die räumliche Struktur einer Volkswirtschaft durch einen großen Trade-Off getrieben: Agglomerationskräfte versus Dispersionskräfte. Ständig wägen die Marktteilnehmer die Vor- und Nachteile der räumlichen Ballung ab und wandern je nach Lebensumständen und Alter eher in die Städte oder eher in ländliche Regionen. Aufgrund der aktuell stärkeren Agglomerationskräfte gewinnen die Städte, was mit steigenden Immobilienpreisen einhergeht. Ich glaube aber nicht, dass die höheren Bodenpreise den Urbanisierungstrend aufhalten werden oder sich dieser gar umkehren lässt. Die Agglomerationsvorteile sind heute einfach zu stark.
Dr. Norbert Hiller: Welche Probleme gehen mit einer Zunahme des Stadt-Land-Gefälles einher?
Prof. Dr. Jens Südekum: In den kleineren Städten befinden sich u. a. Unternehmen, die bei bestimmten Nischenprodukten Weltmarktführer sind – die so genannten „hidden champions“. Selbst diese Unternehmen klagen über einen hohen Fachkräftemangel. Die jungen Menschen ziehen oft zum Studium fort und kommen anschließend nicht mehr zurück. Und die Unternehmen haben Schwierigkeiten, andere Hochqualifizierte zu einem Umzug in die Provinz zu bewegen.
Dr. Norbert Hiller: Ist es unter Umständen möglich, dass der Arbeitsmarkt nicht mehr so recht funktioniert? Sofern ein Fachkräftemangel in bestimmten Regionen und Branchen herrscht, müssten die Löhne ja ansteigen. Da sich diese immer noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau bewegen, ist es ja nicht verwunderlich, dass viele junge Menschen in die Ballungsgebiete ziehen.
Prof. Dr. Jens Südekum: Von einer generellen Funktionsstörung des Arbeitsmarktes würde ich nicht sprechen. Jedoch diskutieren Ökonomen bereits seit einiger Zeit intensiv darüber, warum der Lohnanstieg in Deutschland immer noch so schwach ausfällt. Das hat wohl auch etwas mit dem Strukturwandel zu tun. Wir sind wie gesagt auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Noch sind die dortigen Löhne aber im Durchschnitt geringer als in der Industrie. Nun könnten gerade die Klein- und Mittelstädte, die einen hohen Industrieanteil aufweisen, tatsächlich attraktive Löhne anbieten. Aber diese Jobs sind in der jungen Generation offenbar nicht mehr so attraktiv wie früher. Es zieht sie immer mehr in die modernen Dienstleistungen. Dies spiegelt sich ja auch letztlich in dem Wanderungsverhalten und dem Berufswunsch junger Menschen wider. Wenn die Löhne nicht ansteigen, so muss zumindest der Immobilienmarkt gewisse Anreize bieten, damit sich qualifizierte junge Familien doch für die Provinz entscheiden. Dafür spielen auch weiche Standortfaktoren eine Rolle. Daher versuchen z. B. Stadtplaner die Lebensqualität durch mehr kulturelles Angebot, Freizeitmöglichkeiten, Restaurants oder dem Ausbau der Infrastruktur zu erhöhen.
Dr. Norbert Hiller: Wäre es nicht aus Sicht der Unternehmen sinnvoll, die Standortattraktivität der Kommunen zu erhöhen, um so indirekt qualifizierte Fachkräfte anzulocken?
Prof. Dr. Jens Südekum: Richtig, diese Meinung teilen auch viele Unternehmer. Konnte man in den letzten 40 Jahren die jungen Mitarbeiter noch aus der lokalen Fachhochschule akquirieren, so reicht das heute aufgrund des demographischen Wandels nicht mehr aus. Die Unternehmen müssen nachhaltig den Mangel an Fachkräften decken. Das geht nur, wenn ich mich auch als Unternehmen lokal engagiere und z. B. die Kinderbetreuung oder Sportvereine unterstütze. Nicht umsonst wird z. B. der VfL Wolfsburg durch VW massiv unterstützt, wird doch dadurch die Lebensqualität in einer ansonsten – das darf ich als gebürtiger Niedersachse sagen – eher langweiligen Stadt erhöht.
Dr. Norbert Hiller: Wie wirkt sich die Zunahme der regionalen Unterschiede zwischen Stadt und Land politisch aus?
Prof. Dr. Jens Südekum: In anderen Ländern ist das Muster ziemlich eindeutig: Die Wahlgewinne der populistischen Politiker gibt es nur aufgrund der beschriebenen Disparitäten zwischen den Regionen. Abgehängte Regionen im mittleren Westen der USA haben Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Beim Brexit war es ähnlich, denn wäre die Entscheidung lediglich in London getroffen worden, so hätte es diesen nie gegeben. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) hat in abgehängten Regionen entsprechende Erfolge erzielt, was sich nicht nur anhand der Ost-West-Achse, sondern auch anhand des Stadt-Land-Gefälles beobachten lässt.
Dr. Norbert Hiller: Man könnte nun in zwei Extremen denken: Man lässt der Entwicklung einfach ihren Lauf und vernachlässigt ländliche Regionen – oder man unterstützt diese intensiver durch die Regionalförderung. Was würden Sie Politikern empfehlen?
Prof. Dr. Jens Südekum: Vor dieser großen Frage steht die Regionalpolitik und sie ist für mich eine der zentralen Fragen für die nächsten Jahrzehnte. In den USA gilt das Motto „Moving to Opportunity“, wonach Familien gefördert werden, welche in attraktive Regionen ziehen. Dies verstärkt die Zuwanderung in die Städte, was letztlich auf eine Entvölkerung der Peripherie hinausläuft. Möchte man eine ähnliche Politik auch für Deutschland umsetzen? Ich halte das für keine gute Idee. Man kann unserem dezentral organisierten Staat nicht ein US-amerikanisches Modell überstülpen, da wir sowohl geographisch, als auch politisch und infrastrukturell ganz anders aufgestellt sind. Es wäre jedenfalls nicht nur mit ökonomischen, sondern auch mit hohen politischen Kosten verbunden. Ich bin also für Regionalförderung, auch wenn das mit Kosten verbunden ist. Wir sollten jedoch nicht glauben, dass wir den Urbanisierungstrend dadurch aufhalten oder gar umkehren können. Wir wären aber gut beraten, wenn wir ihn dadurch zumindest ein wenig abfedern.
Dr. Norbert Hiller: Welche Instrumente der Regionalförderung würden sie empfehlen?
Prof. Dr. Jens Südekum: Keinesfalls würde ich auf mehr direkte Subventionen an Firmen setzen. Diese werden von Unternehmen in der Regel lediglich abgeschöpft, obwohl sie ohnehin in der Region einen Standort eröffnen würden. Viele Studien belegen sehr schön, dass durch Subventionsgelder keine zusätzlichen Arbeitsplätze entstanden sind. Es gibt leider kein allgemeines Patentrezept, aber ich glaube, dass der ansteigende Fachkräftemangel nur durch den Ausbau der Infrastruktur, insbesondere von Bildungseinrichtungen in peripheren Räumen begegnet werden kann. Mit Fachhoch- und Berufsfachschulen kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die lokale Bevölkerung kann erstens die Jugendlichen vor Ort besser ausbilden und zweitens Unternehmensgründungen stimulieren, was Jobs schafft und dadurch auch indirekt die regionalen Immobilienmärkte stärkt. Die besten Lösungen werden jedenfalls vor Ort gefunden.
Dr. Norbert Hiller: Wie meinen Sie das genau?
Prof. Dr. Jens Südekum: Die Probleme werden nicht von Berliner Ministerialbeamten gelöst, sondern von Menschen, die vor Ort Ideen haben und umsetzen möchten, jedoch Mittel dafür benötigen. Welche Form von Infrastruktur gebraucht wird, weiß ein Ortskundiger am besten. Hierbei sollte es nicht an Mittelknappheit scheitern, was aufgrund der hohen Verschuldung der Kommunen oftmals der Fall ist. Wenn man den Kommunen in ländlichen Regionen hilft, trägt dies auch Früchte im entfernten politischen Berlin, denn populistische Parteien verlieren dadurch letztlich an Attraktivität.
Dr. Norbert Hiller: Vielen Dank für das Gespräch.
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