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Immobilienboom – Im Rausch des Geldes?

Aus medizinischer Sicht spricht man von einem Rausch, wenn „nach Aufnahme einer psychotropen Substanz Störungen von Bewusstseinslage, kognitiven Fähigkeiten, Wahrnehmung, Affekt und Verhalten oder anderer psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen“ eintreten. Nehmen wir nun einmal an, bei der psychotropen Substanz handele es sich um Geld. Möchte jemand höhere Geldsummen z. B. für Immobilien ausgeben und dafür einen Kredit aufnehmen, so muss er Zinsen dafür zahlen. Bei geringem Zinssatz kann die Person entsprechend hohe Geld- bzw. Kreditsummen aufnehmen. Doch gerät diese Person dadurch in einen Rausch?

 

Der Ökonom Robert J. Shiller merkte einmal an, dass Immobilienmarktentwicklungen durchaus von einem irrationalen Überschwang geprägt sein können. Demnach lösen schwankende Preise einen Herdentrieb aus, welcher in einen Kaufrausch und anschließend in eine Preisblase mündet, deren Platzen in der Regel äußerst negative Auswirkungen auf eine Volkswirtschaft hat. Seit Beginn der Niedrigzinsphase im Jahr 2010 fokussieren sich viele Marktteilnehmer auf Aktien- und Immobilienmärkte, was entsprechende Kurs- und Preissteigerungen auslöst (siehe Abbildung 1). Zwar verblieben die Verbraucherpreise auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, aber die Preise für Vermögensgüter (wie Aktien oder Immobilien) stiegen im gleichen Zeitraum stark an.

 

Abbildung 1: Aktien- und Güterpreisentwicklung (Index Basis 2010=100)

Quelle: Bundesbank, Statistisches Bundesamt, Bloomberg

 

Ob bei solchen Entwicklungen z. B. die kognitiven Fähigkeiten und Wahrnehmungen der Marktteilnehmer gestört sind, lässt sich tatsächlich ermitteln. So führten z. B. Karl E. Case und Robert J. Shiller im Jahr 2002 in den USA eine Umfrage durch, wonach 90 % der Hauskäufer in Zukunft weitere Preissteigerungen erwarteten. Die Immobilienwerte sollten nach ihrer Einschätzung in den folgenden 10 Jahren um jährlich 7 bis 15 % ansteigen. Das bedeutet, der Wert einer Immobilie würde sich innerhalb dieser Zeitspanne mehr als verdoppeln (bei 7 %) oder mehr als vervierfachen (bei 15 %). Rund 50 % der Befragten gab an, durch eine positive Marktstimmung bzgl. der Preisentwicklung in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst gewesen zu sein. Aus diesen Indikatoren zogen die Forscher den Schluss, dass die Immobilienpreisentwicklung im Jahr 2003 womöglich die Gestalt einer Preisblase angenommen hatte – was sich nur wenige Jahre später bewahrheitete. Die Immobilienkäufer hatten den aktuellen Preistrend einfach für die Zukunft fortgeschrieben, was auf eine verzerrte Wahrnehmung der (Immobilien-)Wirklichkeit schließen lässt.

 

Der Rausch erfasste große Teile der US-amerikanischen Gesellschaft. In den Jahren 2004 bis 2006 wurden besonders viele Kredite an Schuldner mit geringer Bonität vergeben. Als die Blase platzte, konnten die Kreditabschreibungen aufgrund der eingestürzten Preise nicht mehr durch die Verkaufserlöse gedeckt werden – die Finanzkrise nahm ihren Lauf. Eine aktuelle Studie kommt jedoch zu anderen Ergebnissen. So fanden die Ökonomen Stefania Albanesi, Giacomo De Giorgi und Jaromir Nosal heraus, dass nicht unbedingt Schuldner mit geringer Bonität, sondern gerade solche mit guter und mittlerer Bonität maßgeblich für die Krise verantwortlich waren. In den Fokus geraten dabei insbesondere Immobilienspekulanten. Als solche werden in dieser Untersuchung Personen bezeichnet, welche zwei oder mehr Immobilien auf Kredit gekauft haben. Der Anteil dieser Spekulanten war kurz vor dem Zusammenbruch stark angestiegen. Eben jene konnten oder wollten zwischen 2006 und 2008 ihre Kredite nicht mehr bedienen. In einigen US-Bundesstaaten konnten die Immobilienbesitzer ihre Schlüssel einfach bei ihrer Hausbank abgeben und waren schuldenfrei, weil diese Schulden nicht an den Personen, sondern an den Objekten hafteten. Wenn der Wert der Immobilien geringer war als der Wert der Bankverbindlichkeiten, stießen die Immobilienkäufer die Häuser einfach ab.

 

In Deutschland kann man den aktuellen Preisboom durchaus rational und der Realität angemessen begründen. Beispielhaft seien die politische Stabilität, die ökonomische Prosperität bzw. guten Einkommensperspektiven der Haushalte, der technische Fortschritt, die hohe Zuwanderung oder die Nachwehen der Finanzkrise (Euro- und Staatsschuldenkrise, Angst vor einer Währungskrise) genannt. Natürlich spielt auch die langanhaltende Niedrigzinsphase eine entscheidende Rolle, denn diese hat zu günstigen Finanzierungsbedingungen geführt, die auch bei hohen Preissteigerungen den Kauf einer Immobilie ökonomisch weiterhin rechtfertigen. Sollte sich der Immobilienboom als „Rausch“ verselbstständigen, weil Marktakteure unrealistische Preissteigerungen erwarten, so ist ein kontrollierter Entzug (z. B. durch schrittweise Zinsanhebung und Beibehaltung hoher Kreditvergabestandards) unumgänglich.

 

Denn soviel ist bekannt: Sinkt der Spiegel der psychotropen Substanz, lassen auch die rauschhaften Zustände nach. Wer aber ständig den Pegel erhöht, muss früher oder später mit dem Kollaps rechnen. Die Flutung der Märkte mit Kapital, die u. a. durch die niedrigen Zinsen ausgelöst wurde, ist vor diesem Hintergrund zumindest als gesundheitsgefährdend einzustufen. Bereits 1932 erkannte Friedrich August von Hayek: „[…] die Bekämpfung der Depression durch eine erzwungene Kreditexpansion ist der Versuch, das Übel durch Mittel zu heilen, die es herbeigeführt haben; weil wir unter der Fehlleitung der Ressourcen leiden, wollen wir weitere Fehlleitungen kreieren – eine Prozedur, die nur zu einer noch schwerwiegenderen Krise führen kann, sobald die Kreditexpansion endet“. Eine massive Kreditmengenexpansion ist demnach keine Lösung zur Bewältigung einer Preisblasenentwicklung. Sie ist damals wie heute die Ursache von ökonomischen Fehlentwicklungen.

 

Zum Weiterlesen

 

Albanesi, Stefania, De Giorgi, Giacomo und Nosal, Jaromir (2017): Credit Growth and the Financial Crisis: A New Narrative, NBER Working Paper No. 23740.

 

Case, Karl E. und Shiller, Robert J. (2003): Is there a bubble in the housing market?, Cowles Foundation Paper No. 1089, Yale University.

 

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