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Prognosen – Ein Blick in die Glaskugel?

Löst sich ein Apfel von einem Baum, so kann man die Falldauer ziemlich genau berechnen: Sie beträgt bei 5 Metern Höhe ca. 1 Sekunde. Doch was geschieht mit einer Volkswirtschaft, wenn es zu einem konjunkturellen Abschwung kommt? Werden die Arbeitslosenzahlen branchenübergreifend steigen und die Immobilienpreise sinken? Und wenn ja, in welchem Maße? Wird es regionale Unterschiede geben? Prognosen könnten hier eine Antwort bieten, doch diese sind spätestens seit der Finanzkrise 2007/2008 in Verruf geraten. Kurz nach dem Kollaps stellte Queen Elisabeth II. den versammelten Ökonomen in einer Londoner Universität die Frage, warum denn niemand diese Krise vorhergesehen hat? Dies ist nicht richtig, denn es gab zahlreiche Wissenschaftler und Branchenbeobachter, die auf Fehlentwicklungen hingewiesen haben, allerdings wurden sie nicht gehört. Folglich scheint die mangelnde Vorhersage wohl eher ein politisches und mediales, denn ein fachliches Problem gewesen zu sein.

 

Neben den vermeintlich „großen“ Fragen sollen durch Prognosen natürlich auch alltägliche Fragen beantwortet werden. Wir setzen uns ständig mit unseren eigenen Vorhersagen auseinander: Werde ich mein Haus in Zukunft abbezahlen können? Wie lange wird mein Auto noch fahrtüchtig bleiben? Lohnt sich der Kauf eines Buches, wenn ich zum Lesen sowieso kaum Zeit habe? Ständig wälzen wir die Unwägbarkeiten der Zukunft und passen unser Verhalten an.

 

Interessant ist, wie die Prognosen anderer unser eigenes Verhalten beeinflussen. In der unteren Abbildung wird z. B. die Bevölkerungsprognose für Deutschland von 2015 bis 2030 dargestellt. Solche Vorhersagen sind für Politiker ungemein wichtig, werden dadurch doch Investitionen in die Infrastruktur maßgeblich beeinflusst. Doch welche Wirkungen entfaltet diese Abbildung noch? Einige Regionen werden in Zukunft an Attraktivität einbüßen. Vor allem in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands wird ein massiver Rückgang der Bevölkerung prognostiziert. Sofern Sie Unternehmer sind, könnte Sie diese Entwicklung abschrecken. Womöglich werden Sie Ihren Standort aufgrund eines zukünftigen Fachkräftemangels nicht dorthin verlegen. Als Privatperson werden Sie evtl. auch keine Immobilie kaufen wollen, wenn Sie wissen, dass in 15 Jahren weit weniger Menschen in dem Ort leben werden und der Preis ihres Hauses wahrscheinlich weiter sinken wird.

 

Folglich werden die Unternehmen weniger investieren und die Menschen die Regionen meiden. Sie kaufen keine Häuser und die Infrastruktur wird durch den Wegzug weiterer Steuerzahler zunehmend verfallen. Da sich viele an der Vorhersage orientieren, führt dies zu einer Erfüllung der Prognose. Sie wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Es macht daher Sinn, Prognosen in die eigenen Entscheidungen einzubeziehen – jedoch nicht aufgrund ihrer Vorhersagekraft, sondern weil andere daran glauben bzw. danach handeln und es wahrscheinlich deshalb genauso kommen wird.

 

Abbildung 1: Bevölkerungsprognose 2015-2030

Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

 

Generell sollte man ökonomische Prognosen nicht überbewerten. Sie fußen in der Regel auf Annahmen, die mehr oder weniger realistisch sind und nur eine ungefähre Vorstellung von zukünftigen Entwicklungen wiedergeben. Sie reduzieren die Unsicherheit, wischen sie aber nicht beiseite. Denken Sie nur daran, wie sich das politische Umfeld innerhalb von 15 Jahren verändern kann. Wer hätte 1945 gedacht, dass Deutschland 1960 ein Wirtschaftswunder erleben wird? Wer glaubte 1975 daran, dass 1990 die Wiedervereinigung eintritt? Hätten Sie im Jahr 2000 damit gerechnet, dass 2015 rund 1 Mio. Menschen vor Krieg und Terror nach Deutschland flüchten?

 

Im Gegensatz zu dem Fall eines Apfels haben wir es hier mit gesellschaftlichen Zusammenhängen zu tun, die äußerst komplex und daher kaum messbar oder gar prognostizierbar sind. Sollte man sich daher Prognosen ersparen und gleich einen Blick in die Glaskugel werfen? Nicht ganz, denn natürlich kann man Tendenzen aufzeigen und anhand von historischen Erfahrungen Verhaltensmuster prognostizieren. Aber wenn z. B. neue politische Krisen entstehen oder sich aufgrund des technologischen Wandels andere Muster ergeben, so ist die Prognostizierbarkeit der Auswirkungen gering.

 

Hinterfragen Sie daher stets Prognosen! Vertrauen Sie nicht blind den Wissenschaftlern, Medien oder anderen Meinungsmachern, sondern ziehen Sie ihre Lebensplanung bei dem Kauf einer Immobilie heran und entscheiden Sie selbst über Ihre Zukunft.

 

Zum Weiterlesen

 

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2015): Raumordnungsprognose 2035 nach dem Zensus

 

Bräuninger, Michael und Teuber, Mark-Oliver (2016): Bevölkerungsprognosen und ihre Interpretation, Wirtschaftsdienst, 96. Jg, Heft 6, S. 444-446.

 

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